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Insel der Kontraste
Ganz Madeira ist nicht nur im Frühling und Sommer ein riesiges Blumenmeer mit atemberaubender Landschaft. Sowohl Sissi, Kaiserin von Österreich, als auch meine Tante Gertrud aus Berlin-Spandau besuchten die zu 60% aus Naturschutzgebieten bestehende Insel und erlagen ihrem Charme.
Wir erlebten Madeira, besonders natürlich Funchal, nicht als die Insel der Omas. Wir erlebten Madeira als junge Insel, was auch der touristische Altersdurchschnitt im Frühstückssaal unseres Hotels bestätigte ...

Madeira ist eine Insel der Kontraste. Bewunderung und Zustimmung werden oftmals dicht gefolgt von Ablehnung. Staunen und Kopfschütteln liegen auf Madeira -wenn man einmal außerhalb der Touristengegenden genau hinschaut- sehr dicht beieinander.
Beispiele sind zum einen der Tunnel-, Straßen- und Brückenbau, bei dem so mancher Schweizer neidisch werden könnte
und zum anderen der Wein ... das Alter in Jahren gleicht meist dem Preis in Euro. Vielerorts gleichen die Preise Madeiras denen der Münchener Innenstadt. Die Löhne der Portugiesen liegen auf der europäischen Skala aber doch ganz weit unten ?
Des Rätsels Lösung scheinen die Zuschüsse der europäischen Gemeinschaft zu sein. Auf den vielen schmucken öffentlichen Gebäuden Funchals lässt sich die Fahnentrikolore Madeira-Portugal-Europa genauso oft bewundern wie auf den Hinweisschildern der vielen Tunnel-, Straßen- und Brückenbaustellen. 1986 der EU beigetreten, haben es die Portugiesen bis heute geschafft, die gesamte südliche Insel bis hoch in den Norden zu untertunneln bzw. zu überbrücken und den Großraum um Funchal von Machico bis Ribeira Brava seit 1996 mit einer autobahnähnlichen Schnellstrasse mit 36 Tunnel zu schmücken. Ein seltsames Vergnügen, die vielen wunderschön gelegenen alten Herrenhäuser Funchals wie beim Sightseeing einmal aus der unmittelbaren Nähe sehen zu dürfen. Den dahinterliegenden Häusern scheinen sie heute als Schallschutzmauer zu dienen.

Die Madeirenser nennen sich selbst eine Sociedade fechada, eine geschlossene Gesellschaft. Nur selten gewähren sie Einblicke in ihre Privatsphäre. Überwiegend römisch-katholisch lebend und erzogen, spürt man erst in jüngster Zeit auflockernde Tendenzen des traditionellen Sozialgefüges.
Auf Madeira wird früh geheiratet, wer ungezwungen als Single leben möchte, verschwindet meist ins entfernte Lissabon. Der sichere Verbund der Großfamilie ist auf Madeira an der Tagesordnung. Jugendliche Ausscherer nehmen nicht selten Drogen.
In der Woche gehen die Madeirenser einem oder zwei Jobs nach, das Wochenende jedoch gehört der Familie. Man fährt mit Kind und Kegel in die Berge zum Picknick oder ans Wasser zum Baden. Als autofahrender Tourist sollte man am Wochenende auf Madeira auf vieles gefasst sein. Da wird die eine oder andere Bergstraße schon mal gern als Ersatzfußballplatz oder Großraumparkplatz genutzt.

Uns lockt aber das Madeira für meerwanderer.
Die wunderschönen Wege an den Küsten im Norden, in den Bergen und auf der Hochebene Paúl da Serra, die zum Wandern einladen und entdeckt werden wollen.

Das wirklich eindrucksvolle Wandern auf Madeira findet an den vielen Levadas statt. Diese Wasserkanäle gibt es seit dem 15. Jahrhundert. Sie dienten dem Wassertransport aus den regenreichen Bergen im Norden zur Bewässerung der Plantagen im regenärmeren Süden. Unter lebensgefährlichen Bedingungen wurden Sklaven an den senkrechten Wänden an Körben heruntergelassen und hauten die Kanäle mit Muskelkraft und Spitzhacke in den Fels.
Wo es sinnvoll erschien, wurden die Levadas gemauert. Auch die Trinkwasserversorgung wird über die Levadas sichergestellt. Das im Winter eingeflossene Wasser wird dazu für die
Sommermonate in riesigen Stauseen und Zisternen gesammelt.
Jede Levada erhielt beim Bau auch einen Wartungsweg. Heute erreichen Wanderer auf diesen Wartungswegen Regionen der Insel, die sonst niemals erreicht werden könnten. Ziele vieler Levadas sind das ganze Jahr hindurch plätschernde Wasserfälle in grünen Talkesseln. Im Gepäck eines Levadawanderers sollten sich auch immer Regenzeug und Taschenlampen befinden. Viele "wilde" Wasserfälle donnern auch im Sommer auf die Levadamauern. Um eine Zwangsdusche führt dann kein Weg herum.
Wo das Umrunden eines Berges nicht möglich war, wurde die Levada eben durch den Berg gehauen. Tunnel von einigen Metern bis guten 200 Meter Länge sind dazu nicht selten zu durchwandern.
Im Lauf der Generationen wuchs das Kanalsystem auf eine Länge von heute rund 1400 Kilometern.
Einen besonderen Reiz auf die Wanderer übt zudem die besonders üppige Vegetation an den Wegen aus. Riesige Farne, die besonders schönen -von den Lavadaarbeitern gepflanzten- Hortensien und die Afrikanische Liebesblume begleiteten uns oft stundenlang.

Ganz anders als der üppig grüne Inselteil im Innern und dem Norden zeigt sich der Süden und Osten. Zwischen Funchal und der landschaftlich atemberaubenden Halbinsel Ponta de São Lourenço wird Madeira wilder, kahler und von der Sonne verbrannt. Hier weist nichts mehr auf Levadas hin.
Auf der Fahrt aus dem Norden von Porto da Cruz nach Machico fuhren wir bei dicht bewölktem Himmel in einen mehrere Kilometer langen Tunnel hinein und kamen bei blauem Himmel und strahlendem Sonnenschein wieder heraus.
Wie bereits erwähnt: Madeira ist eine Insel der Kontraste.

Das Dach Madeiras ist ein Paradies für Bergwanderer. Zwischen den vier Säulen Achada do Teixeira, Pico do Arieiro, dem Encumeada Pass und Achada da Madeira eröffnet sich eine leicht zu erreichende Berglandschaft um die höchsten Gipfel der Insel. Die Wanderung von der Achada do Teixeira zum Pico Ruivo (mit 1862 Meter der höchste Berg Madeiras) ist einfach, gefahrlos, weitestgehend ausgebaut und damit ohne Bergerfahrung für alle mit ein wenig Kondition möglich. Hier wandern Sie nachmittags mit ein wenig Glück über den Wolken im strahlenden Sonnenschein und sind pünktlich zum Abendessen zurück im Hotel.

Abendessen sollte man auf Madeira unserer Meinung nach besser in einem der zahlreichen Restaurants. Hier ist es sehr viel günstiger, in unserem Beispiel um mehr als die Hälfte. Unser ****Hotel machte zumindest den Eindruck ziemlich satt zu sein. Für ein normales, durchschnittliches Frühstück soll der Gast 8 Euro zahlen, für ein Abendessen ohne Getränke über 16 Euro.
Gäste scheint es genug zu geben auf Madeira. Hotel-Sterne allerdings auch !

Madeira besitzt keine Strände. Das heißt, wir fanden einen sehr schönen, allerdings sehr kleinen Sandstrand (Prainha) oben im Norden auf der Halbinsel Ponta de São Lourenço.

Madeira besitzt dafür eine atemberaubende, wilde Natur im Norden, die, je weiter man in den Süden kommt, in eine fast schon mediterran, sanfte Landschaft übergeht. Allgegenwärtig ist das üppige Überangebot an Blumen und Pflanzen, an Lorbeer- und Eukalyptuswäldchen. In den Bergen sind wir über den Wolken im Sonnenschein gewandert, Unterwasser entdeckten wir ähnliche Reichtümer. Große Fischschwärme, riesige Zackenbarsche und Rochen begegneten wir auf unseren Tauchgängen. Die Tauchbasen haben sich alle im touristisch erschlossenen Süden angesiedelt. Grund dafür ist das sehr ausgedehntes Unterwasser-Naturschutzgebiet Garajau zwischen Caniço de Baixo und Funchal.

Zugegeben, es hat eine Weile gedauert Madeiras Charme zu entdecken.
Madeiras Reichtum ist seine Landschaft. Die Geschichte der Insel ist an vielen Stellen ein impertinentes Spielgelbild kolonialer Machtherrlichkeit aus vergangenen Jahrhunderten, die vielerorts bis in die Gegenwart hinein lebhaft die Stellung hält. Funchals Image geht auf Kosten der vielen Sklaven. Madeira galt als Umschlagplatz für Sklavenhändler aus Westafrika. Der Prunk der rund um Funchal anzutreffenden "Herrenhäuser" zeugt davon, dass es hier einige Europäer verstanden haben andere für sich arbeiten zu lassen.

Madeiras Landschaft ist es Wert entdeckt zu werden. Sie begeistert und beeindruckt ihre Besucher mit ihrer Wildheit, mit ihren spektakulären Einblicken.
von Fred Buschkewitz